WERKSCHAU
VON JOHANNES MÜLLER IN DER ROSTOCKER KUNSTHALLE -
MALERISCHER GLANZ AUS ÄRMLICHER MATERIE
Goldocker und Englischrot aus Braunkohlenasche, Holzasche von silbrigem Grau, körniger Ziegelsteinstaub, Kohle, Sand, Kalk und Leim. Mit diesen Stoffen hat Johannes Müller über 80 der 150 Bilder hergestellt, die jetzt in der Kunsthalle Rostock gezeigt werden. Er verwendet auch traditionelles Material wie Rötel, Zeichenkohle, Kreide, Kasein, Öl, Gouache und Acryl. Aber es sind die poveren Mittel (in der Moderne schon lange gebräuchlich und mit einer eigenen Stil-Schublade ausgestattet), die den Charakter, die Stimmung der Bilder ausmachen und ihr eigentlicher Inhalt sind. Man blickt auf den grau-grün-braunen Flickenteppich mecklenburgischer Landschaft oder auf ehrwürdige Backsteinmauern mit ausgewitterten Fugen, auf den vornehmen Schimmer alten, groben Putzes. Flechten bedecktes Gebälk und schrundige Wände kann man fühlen und die regengetränkte Erde riechen, die schwere Herbstluft und den kalten Holzrauch: nach 32 Rostocker Jahren ist der Thüringer 1990 auf ein noch stilles Mecklenburger Dorf gezogen. Seine Wende?
Müllers Tun auf Papier und Leinwand ist seit seiner Selbstbefreiung aus dem Mal-Korsett der Dresdner Hochschule auf konstruktive Bildordnungen gerichtet, in denen er die ihn umgebende Gegenstandswelt - städtische Räume, Theater, Alltagsdinge - sorgfältig zu Bildern abstrahiert. 1977 zum Beispiel gelangte er, wie fast immer über einen Berg von Naturstudien, mit der Komposition „Theater. Vier Figuren“ (Teatro Lautaro im Volkstheater Rostock) zu jener geradezu DDR-spezifischen Art von Abstraktion, die im streng straffenden Bildbau (bei anderen im wilden Farbgemenge) die Figur bewahrte und der Natur als Formen- und Gedankenspender verbunden blieb. Jenes Bild, seinerzeit vom Rat des Bezirkes Rostock der Kunsthalle übereignet, ist im retrospektiven Teil der Ausstellung zu sehen als Zeugnis für das bereits ästhetisch sichere musikalische Komponieren mit Farbflächen.
Damals hätte der Cezannist und puristische Bild-Denker Zufalls- oder gar Materialwirkungen grundsätzlich verschmäht. Heute arbeitet und spielt er damit, freilich immer noch wie ein Konstrukteur. Unter Müllers Händen entstehen aus der schäbigen Materie, mit Leim auf den Flächen fixiert, romantische Farbgebilde wie aus dämmerig herbstlicher Natur. Das in fast mönchischer Disziplin ausgearbeitete Regime von Ruhe und Ordnung und die kubische Tektonik, mit der Müller jahrzehntelang Stadtlandschaften und karge Stilleben baute, lockern sich. Die amorph verteilten und in Flecken hingewischten Substanzen werden allerdings meist einer winkeligen Flächenstruktur eingeordnet, eben einer Müllerschen Vorstellung von Bild.
Bild heißt jetzt nicht mehr aus den Gegenständen abstrahierend abgeleitete Form. Das frühere Verhältnis des Malers zu den real sichtbaren Dingen, intellektuell begründet und distanziert, ist einer Nahsicht auf die durch die Oberflächen scheinende Zuständlichkeit der Materie gewichen. Er beobachtet und sichert die Spuren des Alterns, der Verwitterung, der Brände und Verwehungen, des Vergehens in rätselhafter Schönheit. Von der Physik des geometrischen Bauens zur Chemie der erdgebundenen Stoffe.
Johannes Müller war in Rostock außer mit dem Theater vor allem mit der Universität verbunden: siebzehn Jahre lang Leiter ihres Malerei-Zirkels und Autor wichtiger Auftragswerke. Auch seinem Gemäldezyklus zum Galilei würde man gerne mal in einer Ausstellung begegnen. Im Lärm der kulturpolitischen Kämpfe hat er mit seiner Haltung als Maler lautlos auf die Entwicklung anderer gewirkt - und auf das Klima überhaupt. 1982 bekam er - unangefochten von den offiziell noch immer platten Realismuserwartungen - den Kulturpreis des Bezirkes. Nun, sechzig geworden und wiederum unangefochten von den jetzt ebenso platten Modernismuserwartungen, ehrte ihn die Hansestadt mit ihrem Kulturpreis.
Die von Direktorin Annie Bardon sicher ausgewählte und überzeugend komponierte Werkübersicht wird sekundiert von einem Katalog voller Bemühungen, ästhetische Botschaften verbal zu erschließen, die, obwohl doch auch dem Trend Tribut zollend, eine schlichte, naturhafte Schönheit haben.
von Hermann Raum
Quelle: Zeitung "Neues Deutschland"